Die positiven Seiten eines unerfüllten Kinderwunsches & warum du diese Betroffenen nicht aufzählen solltest!

Es vergeht keine Woche, in der ich nicht mindestens eine Nachricht zu meinem unerfüllten bzw. unerfüllbaren Kinderwunsch bekomme. Meist sind sie mitfühlend, oft wird mir die eigene Geschichte erzählt, gelegentlich sind es ungefragte Ratschläge, manchmal ein versteckter Vorwurf, ich könne jetzt mit dem Jammern aufhören – wenn ich Kinder hätte, würde ich jammern, wie schlimm das Leben mit Kindern sei. Und ab und zu bekomme ich auch die positiven Seiten eines unerfüllten Kinderwunsches aufgezählt.
Da fallen Worte wie Freiheit und Unabhängigkeit und der Vergleich, was ich alles nicht könnte, wenn ich Kinder bekommen hätte. Als ich zum Beispiel mal unser Sundowner Ritual auf Instagram zeigte, ließ es sich eine Mutter nicht nehmen, mir „Siehste! Mit Kind hättet ihr keine Zeit mehr für gemütliche Sundowner“ zu schreiben.
Und ja, da ist vielleicht etwas dran. Ich habe viel Zeit für mich – Michi und ich haben viel Zeit füreinander. Wir sind flexibel und weitesgehend unabhänig. Unser Geld können wir für uns ausgeben, wir können jederzeit weg fahren. Niemand braucht uns, um einschlafen zu können, wir können jede Nacht durchschlafen – niemand hat Langeweile, wenn wir lange einfach nur im Garten sitzen.
Im Restaurant können wir in Ruhe essen und wenn wir aufräumen und putzen, bleibt es solange ordentlich, bis wir selbst es wieder schleifen lassen. Keiner jammert an der Kasse, weil da die Süßigkeiten stehen. Es schmeißt sich auch niemand von uns auf den Boden. Wenn wir eine Pause brauchen, verabreden wir uns einfach nicht und können uns ganz auf uns und unsere Bedürfnisse konzentrieren.
Ich verstehe, dass das alles Dinge sind, die Eltern hier und da fehlen. Ich verstehe, dass es wahnsinnig fordernd ist, hundertprozentig für einen oder mehrere kleine Menschen verantwortlich zu sein. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Nun ist es aber so: Wenn wir könnten, würden wir trotz allem sofort tauschen. Wir hätten sehr gerne all unsere Kinderlosen-Privilegien gegen eine kleine Familie eingetauscht. Und (zumindest) in unserem Umfeld wäre im Umkehrschluss niemand bereit, zu tauschen. Wir konnten uns nicht entscheiden – wir haben uns diese Vorteile nicht ausgesucht und Freiheit ist keine Freiheit, wenn sie nicht selbst gewählt ist.
Es tut ab und zu noch weh, aber im Großen und Ganzen habe ich nach sehr vielen Jahren mittlerweile meinen Frieden damit gemacht, keine Kinder bekommen oder adoptieren zu können. Ich kann diese Privilegien heute sehen und genießen. Mir ist immer noch sehr bewusst, was uns schmerzlich fehlt – aber ich sehe auch deutlich, was wir stattdessen haben.
Es gab aber Zeiten, da wurden mir die vermeintlichen Vorteile aufgezählt und ich hätte ausrasten können. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als nachts nicht mehr schlafen zu können. Ich wünschte mir, völlig überfordert und am Ende zu sein, weil ich verantwortlich für mein Baby bin. Es gab nichts, was mich trösten konnte und von Müttern mit gesunden Kindern aufgezählt zu bekommen, welche Vorteile ich habe, kam mir vor, wie ein Schlag ins Gesicht.
Nun ist es aber so: Wenn wir könnten, würden wir trotz allem sofort tauschen. Wir hätten sehr gerne all unsere Kinderlosen-Privilegien gegen eine kleine Familie eingetauscht. Und (zumindest) in unserem Umfeld wäre im Umkehrschluss niemand bereit, zu tauschen.
Ich weiß, es ist das natürliche Bedürfnis, dem anderen helfen zu wollen. Indem man die Dinge, die einem evtl. selbst als Mutter verwährt bleiben aufzählt, hat man das Gefühl, zu helfen. Es gibt auch eine Menge, was man tun kann, wenn man mit von unerfülltem Kinderwunsch Betroffenen zu tun hat. Die positiven Seiten eines unerfüllten Kinderwunsches aufzuzählen, gehört aber eindeutig nicht dazu.
Es gibt diese Seiten – aber der oder die Betroffene muss das selbst herausfinden. Und das geht nur, wenn das schmerzhafte Thema verarbeitet wird. Und dabei kannst du auf jeden Fall eine Hilfe sein! Mit einem offenen Ohr und dem Angebot, den Schmerz ein Stück mitzutragen.
Nadine
Johanna
Hi Nadine,
ich finde es toll, wie offen du hier von deinem Thema Kinderlosigkeit schreibst. Du bist ein Vorbild für mich und auch für die Gesellschaft. Denn ich denke, es gibt so viele Themen in unserer Gesellschaft über die nicht gepsrochen wird, dennoch würde es so guttun sich darüber auszutauschen. Und mir persönlich tut deine Offenheit gut, um mit Betroffenen besser umgehen zu können. Das wollte ich einfach mal gesagt haben!
Danke!
Gruß Johanna
Claudi
Dein Artikel spricht mir so sehr aus der Seele. Ich bin so froh, dass es deinen Blog gibt und Gleichgesinnte.
So fühle ich mich nicht mehr sooo unnormal und ausgestoßen. Wir haben uns die Kinderlosigkeit auch nicht ausgesucht, ich arbeite seit vielen Jahren im Kindergarten und trotzdem werden wir nicht eingeladen zu Treffen von Freunden mit Kindern oder ähnlichem.
Ich habe immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass Eltern mit Kindern unter sich bleiben. Wahrscheinlich ist es angenehmer, wenn sich die Kinder gegenseitig bespaßen, als nur mit uns zusammen zu sein. Meine Theorie.
Ich finde es absolut schade, renne aber mittlerweile niemanden mehr hinterher, sondern gebe die Kontakte eher auf.
Ich freue mich darauf, wieder von dir zu lesen. Dein Blog ist sehr, sehr schön. Vielseitig. Vielen Dank dafür 🙂
Christina
ClaudiHallo Claudi,
ich bin Mutter (und mittlerweile auch Oma) und mich hat Dein Kommentar unendlich trauig gemacht und entsetzt. Hatte selbst zwei „kinderlose“ Tanten&Onkel und im Laufe der Jahre wurde mir die Gehässigkeit und Kälte meiner Mutter gegenüber diesen „die haben’s ja gut“-Frauen bewußt. Habe mich so dafür geschämt und Jahre gebraucht bis ich entschuldigen konnte (auch wenn ich es nicht war).
Dachte aber, die Gesellschaft – und vor allem die heutigen Frauen mit all ihrem Termindruck – sehen das zwischenzeitlich anders/bewußter. So ein Ausgrenzen in heutiger Zeit, kann ich ga nicht nachvollziehen. Mit kamen die Tränen… vorzustellen, dass meine Freundin mit den Kindern arbeitet – aber bei Freizeitveranstaltungen ausgegrenzt wird!
Ich persönliich kenne Frauen UND Männer, die können – auch ohne eigene Kinder – sehr gut mit Kindern umgehen. Und es gibt Eltern, die haben scheinbar aus Prestigegründen Kinder und respektieren diese nicht.
Es gibt für mich eher Momente, da fühle ich mich unsicher, weil es da diese Erfahrungs-Unterschiede gibt. Aber, die gibt es nun mal in vielen Bereichen und wir sollten lernen den Anderen so zu respektieren wie sie/er ist und einfach so wahrnehmen. Warum, wieso, weshalb…. das erfährt man oft erst in tieferen Gesprächen.
Ich hoffe, Du wirst zukünftig als das wahrgenommen was Du bist: Eine Frau, die mit Kindern umgehen kann und scheinbar eine empathische Person ist. FRAU = Mensch = menschlich – mehr muß nicht sein.
Christina
Mila
Liebe Nadine,
ein schwieriges Thema. Meistens wissen die Menschen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Sie meinen es nicht böse mit den Ratschlägen, werden dann irgendwie doch „übergriffig“. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich weiß, wie es ist, wenn dieser unerfüllte Wunsch an der Seele nagt. Man nimmt sich immer vor damit abzuschließen, das Schicksal zu akzeptieren. Und doch ist er da, dieser Schmerz, wenn andere ihre Schwangerschaft verkünden oder man eine glückliche Familie mit Baby sieht. Es gibt keinen wirklichen Trost, nichts, dass die Lücke füllen kann. Und doch schaut man nach vorne und findet immer wieder die Kraft. Fühl dich aus der Ferne umarmt. Ich wünsche dir ein erfülltes Leben und viele tolle Menschen um euch herum, die euch ohne viele Worte zu sagen verstehen und einfach für euch da sind!
Uta
Hallo Nadine,
wow…was du schreibst ist so authentisch und wertvoll.
Ich habe oft von Freunden gehört: „freu dich doch, sei dankbar…ihr könnt tolle Urlaube zu zweit machen… genießt es doch“.
Ich habe es aber nicht genossen. Ich hätte meinem Gegenüber liebst 10 Urlaube geschenkt – um einfach nur ein Kind zu bekommen. Aber es kam keins…
Inzwischen bin ich 48 Jahre, habe vom Kinderwunsch schon lange Abschied genommen und geniesse inzwischen mein Leben und meine Urlaube ohne Kinder. Aber das war ein langer und schmerzhafter Weg.
Danke Nadine, dass du für diesen Prozess Mut machst. Es lohnt sich…
Viele Grüße von Uta