Wie es wirklich ist, von dem zu leben, was man liebt // Interview mit Alexandra Polunin
Wenn ich ehrlich bin, wurde mir erst, als ich die Antworten von meiner heutigen #Jobliebelei Interview Partnerin gelesen habe, bewusst, WIE perfekt sie in diese Reihe passt. Alexandra Polunin hat sich nämlich nicht nur mit einer nischigen Dienstleistung selbstständig gemacht, sie hat dafür ihren Traum von der Wissenschaft und ihre Doktorarbeit aufgegeben, als sie merkte, dass sie feststeckte und sich ihre Wünsche verändert hatten. Sie vertraute auf ihr Bauchgefühl, setzte alles auf eine Karte und heute erzählt sie euch ihre Geschichte.
Hallo Alex, erzähl meinen Lesern doch bitte zuerst Mal ein klein wenig über dich: wer bist du? Wofür schlägt dein Herz? Und womit verdienst du deinen Lebensunterhalt?
Hallo Nadine, sehr gerne. Also, mein Name ist Alex und ich wohne mit meiner Familie, einem Hund und acht Gitarren in Heidelberg. Geboren bin ich aber in Sibirien, wo es im Winter schon mal minus fünfzig Grad Celsius werden konnte.
Mein Herz schlägt für so viele Dinge – gutes Essen, gute Bücher, das Meer – und ich hab ein Riesenglück, dass ich mit einem Herzensthema inzwischen meinen Lebensunterhalt verdienen kann: Pinterest.
Konkret heißt das, dass ich kreative, selbstständige Frauen dabei unterstütze, Pinterest für ihr Business zu nutzen. Gerade für die leisen Selbstständigen und Unternehmerinnen ist Pinterest nämlich oft ein guter Weg, neue Website-Besucher und letzten Endes mehr Kunden zu bekommen.
Und die Feministin in mir freut sich über jede einzelne Frau, der ich dabei helfen kann, ihr eigenes Ding zu machen und die Online-Sichtbarkeit zu bekommen, die sie verdient!
Seit wann machst du das, was du liebst, beruflich und was war der ausschlaggebende Grund dafür, diesen Schritt wirklich zu gehen?
Richtig offiziell seit dem 29. August 2017. Das war der Tag, an dem ich mit meiner Personenmarke an den Start ging und mich in meinem Angebot ausschließlich auf Pinterest fokussierte.
Doch der Weg dahin war voller Umwege.
Denn natürlich dachte ich nicht mit 6 Jahren: „Ich will mal Pinterest-Marketing-Beraterin werden, wenn ich groß bin!“ Mein Traum war es immer, Professorin zu werden und zu forschen.
Nach meinem Germanistik- und Philosophie-Studium habe ich mich daher sofort für eine Promotion entschieden und begann, an meiner Doktorarbeit zu schreiben. Das Thema hatte sich damals schon seit Monaten abgezeichnet, eine Betreuerin war schnell gefunden, nur mit der Finanzierung wollte es einfach nicht klappen. Zwei Jahre und unzählige Bewerbungen um Stellen und Stipendien später hatte ich dann auf einmal diesen Gedanken: Irgendwie hat das Leben etwas anderes mit dir vor…
Zu dieser Zeit hatte ich bereits angefangen, nebenbei zu texten und zu lektorieren. Und als mehr Kunden her mussten, fing ich an, mich mit etwas zu befassen, was ich vorher eigentlich nie so richtig auf dem Schirm hatte: Online Marketing. Ich begann, darüber zu bloggen, und stellte irgendwann fest, dass meine Leser und mich vor allem eins interessiert: Pinterest.
Rückblickend eigentlich gar nicht so verwunderlich, denn privat nutze ich die Plattform bereits seit 2011 und meinen damaligen Blog brachte ich mithilfe von Pinterest von 0 auf 30 000 Leser.
Es hat dann noch ein bisschen gedauert, bis ich mich traute, die Promotion abzubrechen, das Lektorieren einzustellen und alles nur noch auf eine (Pinterest-)Karte zu setzen. Aber als ich dann im Juli 2017 die Entscheidung traf und „all in“ ging, fühlte es sich unglaublich gut und befreiend an.
Ich bin ja ein absoluter Bauchgefühl-Mensch. Und mein Bäuchlein war im Sommer 2017 unglaublich zufrieden.
Hattest du anfangs in deinem persönlichen Umfeld mit Vorurteilen oder Gegenwind zu kämpfen? Und wie steht dein Umfeld jetzt zu deinem Job?
Vorurteile und Gegenwind gab es bei mir nicht – weil ich praktisch niemandem von meinem Start in die Selbstständigkeit erzählt hatte.
Ich hatte viel zu viel Angst vor eben diesen Reaktionen.
Offiziell hatte ich ja immer noch promoviert, und ich hab es schön bei dieser offiziellen Version meines Lebens belassen. Erst als ich die ersten Aufträge zum Lektorieren und Texten erhalten habe, habe ich mich so langsam getraut, anderen davon zu erzählen.
Die waren zwar nicht unbedingt skeptisch, aber stellten immer wieder ein- und dieselbe unangenehme Frage: „Und davon kann man leben?”
Oh, wie ich diese Frage gehasst habe, und auch heute kann man mich damit noch jagen.
Denn mir war schon immer schleierhaft, warum diese Frage immer nur Selbstständigen vorbehalten bleibt und andere Berufsgruppen damit in Ruhe gelassen werden. Die Unterhaltung „Ich bin Busfahrer.“ – „Und davon kann man leben?” ist mir zumindest noch nie unter die Ohren gekommen. Als Selbstständige musste ich mich aber von Anfang an für meine Finanzen rechtfertigen.
Und um es ein für alle Mal klarzustellen: Natürlich können die meisten Selbstständigen zu Beginn ihrer Selbstständigkeit nicht davon leben. Ich war da keine Ausnahme. Man braucht da je nach persönlicher Situation Rücklagen, einen Haupt-/Nebenjob, einen Partner, der mitzieht, und in jedem Fall ganz viel Nudeln mit Tomatensoße.
Ich weiß noch gut, wie ich mich auf Familienfeiern vor Fragen wie „Und – wie läuft deine Selbstständigkeit?” fürchtete. Am liebsten hätte ich natürlich gesagt: „Scheiße läuft’s.“ Aber ich hab immer brav gelächelt und „Gut, danke. Es wird.“ gesagt.
Ich dachte immer, dass andere mich und meine Selbstständigkeit nicht ernst nehmen, wenn ich ihnen von diesen Startschwierigkeiten erzähle. Rückblickend glaube ich, dass vor allem ich mich selbst nicht ernst genommen habe.
Solange ich als Selbstständige wenig verdient hatte, war es eben verdammt schwer, vor anderen selbstbewusst aufzutreten. Hätte ich damals schon geahnt, dass ich nach noch nicht mal anderthalb Jahren mir ein festes Gehalt zahlen, Steuern, Buchhaltung und Technik auslagern und übers Wochenende nach Hamburg oder Berlin fliegen würde, um Pinterest-Workshops zu geben, wäre ich damals sicherlich entspannter und selbstsicherer gewesen. Aber im Nachhinein ist man ja immer schlauer.
Genau deshalb habe ich übrigens vor Kurzem meinen Podcast „Creative Mind” gestartet: Um anderen kreativen Selbstständigen das Gefühl zu geben, dass wir da alle in einem Boot sitzen und dass diese Selbstzweifel, Ängste und Hindernisse alle kennen, weil sie völlig normale Begleiterscheinungen einer Selbstständigkeit sind, die leider nur viel zu selten thematisiert werden.
Was sind für dich persönlich die negativen Seiten an der Selbstständigkeit?
Manchmal denke ich, dass Online-Kommunikation manche Menschen dazu verleitet, hässliche Dinge zu sagen, die sie offline so vielleicht gar nicht von sich geben würden.
Früher habe ich mir solche gehässigen Nachrichten, Kommentare oder E-Mails, die mit steigender Sichtbarkeit leider zunehmen, immer sehr zu Herzen genommen, hab sie analysiert und jedes Wort hin und her gedreht, bis mir schwindelig wurde. Inzwischen kann ich zum Glück besser damit umgehen und mich davon abgrenzen.
Denn wie heißt es so schön? Was Hans über Peter sagt, sagt mehr über Hans aus als über Peter. In diesem Sinne mache ich einfach weiter mein Ding und lass den Nörglern ihre schlechte Laune.
Und jetzt aber zurück zum Schönen: was ist das tollste daran, sein eigener Chef zu sein?
Ich glaube, gerade weil man sein eigener Chef ist, neigt man manchmal dazu, viel strenger zu sich selbst zu sein als man es mit anderen Mitarbeitern wäre, und sich die Pause, den Feierabend oder das Wochenende zu verkneifen.
Früher fand ich es zum Beispiel ganz toll, noch um 22 Uhr am Schreibtisch zu sitzen und zu arbeiten. Das war so ein „Guck mal an, wie busy ich bin“-Mindset, das ich absolut nicht empfehlen kann: Irgendwann brennt so auch der motivierteste Selbstständige aus.
Doch zum Glück habe ich irgendwann begriffen, dass die Selbstständigkeit ein Marathon ist und kein Sprint und dass ich einen langen Atem brauche. Inzwischen gestalte ich meine Arbeitstage so, dass ich genügend Zeit für mich und meine Herzensmenschen habe.
Ich habe feste „Öffnungszeiten“ für mich definiert, habe Facebook und das E-Mail-Programm vom Smartphone verbannt und morgens nehme ich mir immer Zeit für Lesen, Schreiben und Yoga. Und Merlin, der verrückte Labradoodle, der vor einigen Monaten bei uns eingezogen ist, sorgt für die nötigen Pausen an der frischen Luft.
Die Selbstständigkeit ist für mich also mittlerweile der ideale Rahmen, um gut für mich zu sorgen und mich persönlich weiterzuentwickeln. Deshalb bin ich wahrscheinlich inzwischen auch völlig unanstellbar. Denn ein Arbeitsalltag, in dem ich nicht selbstbestimmt arbeiten und für mich sorgen kann, kommt mir nicht mehr in die Tüte.
Hand auf´s Herz: sich selbst zu motivieren, kann einem schon mal schwer fallen. Wie organisierst du deinen Tagesablauf?
Ich muss zugeben: Das ist etwas, was mir überhaupt nicht schwer fällt. Ich liebe das, was ich tue, und wenn ich abends ins Bett gehe, dann freue ich mich darauf, mich morgens wieder an den Schreibtisch zu setzen.
Außerdem empfinde ich meine beiden Kinder als einen Glücksfall für meine Selbstständigkeit, denn sie haben mir von Anfang an beigebracht, extrem fokussiert zu arbeiten.
Ich weiß noch, als ich vor einigen Jahren Examen gemacht hab. Da war ich täglich in der Bib und sah all die Menschen, die immer Facebook auf ihrem Laptop geöffnet hatten und ständig chatteten und sich durch Nachrichten und E-Mails vom Lernen ablenken ließen.
Mein jüngster Sohn war da erst wenige Monate alt und ich wusste: Ich hab jetzt ungefähr zwei Stunden, bis er wieder Hunger bekommt und ich zum Stillen heim muss. Das war immer so ein „Auf die Plätze, fertig, lernen!“
Diesen Fokus habe ich mir zum Glück bis heute beibehalten. Inzwischen sind die beiden Schulkinder, aber der Grundgedanke ist gleich: Ich hab am Tag nur wenige Stunden zum Arbeiten. Abends oder am Wochenende arbeite ich nämlich prinzipiell nicht. Nicht weil ich nicht könnte, sondern weil ich nicht will.
Deshalb bin ich, wenn sie die Wohnung verlassen, in meinem Getting-shit-done-Tunnel.
Manche verwechseln das schonmal mit schlechter Laune, aber das ist wirklich nur extremer Fokus. Das Smartphone geht da in den „Nicht stören“-Modus und wird in die Schublade gesteckt. Das E-Mail-Postfach bleibt zu. Vormittags widme ich mich der wichtigsten Aufgabe des Tages, die natürlich variieren kann. Und wenn die geschafft ist, dann werde ich ab mittags ein bisschen relaxter und bin dann auch schon mal auf Instagram unterwegs. 🙂
Welche Frage hättest du gerne gestellt, bevor du den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hast? Und wie lautet deine Antwort darauf?
Eine Frage? Ich hatte tausend!
Von „Wie sorge ich dann eigentlich für die Rente vor?“ über „Wie finde ich die richtigen Kunden?” bis „Soll ich um 21 Uhr noch auf Kunden-E-Mails antworten?” – ich hatte von nichts eine Ahnung.
Da ich zu der Zeit niemanden kannte, der erfolgreich selbstständig war, habe ich da von Anfang an ganz persönliche Antworten auf diese Fragen finden müssen.
Außerdem weiß ich heute, dass Unklarheiten und Unsicherheiten zu einer Selbstständigkeit dazugehören wie die Umsatzsteuervoranmeldung. Es geht einfach nicht ohne. Und wenn eine Sache geklärt ist, kommt mit Sicherheit die nächste Herausforderung um die Ecke. Zum Glück, möchte man fast sagen. Denn noch nie habe ich so viel gelernt, wie in den Jahren meiner Selbstständigkeit. Das ist mir mehr wert als jedes noch so sichere Angestelltenverhältnis.
Und zuguterletzt: welchen Rat hättest du (oder hast du) gerne bekommen, bevor du dein Glück selbst in die Hand genommen hast?
Ich glaube, mir hätte es zum Beginn der Selbstständigkeit gut getan, wenn mir jemand versichert hätte, dass ich vertrauen kann. Mir und meinen Fähigkeiten. Meinem Bauchgefühl. Dem Prozess.
Am Anfang war ich noch sehr ungeduldig, habe viel nach links und rechts geschaut, mich mit den Erfolgen anderer verglichen. Das war eine toxische Angewohnheit, die für sehr viel Kummer und Frust gesorgt hat.
Inzwischen habe ich zum Glück den Mut entwickelt, mein eigenes Ding zu machen und im Zweifel auf Regeln zu pfeifen. Sehr befreiend und absolut zur Nachahmung empfohlen!
Liebe Alex, vielen, vielen Dank für dieses wirklich ausführliche und wunderbare Interview. Ich habe schon geahnt, dass wir uns wahrscheinlich relativ ähnlich sind, als ich all deine Podcast Folgen hintereinander gehört und mich eigentlich in allem wiedergefunden habe, aber spätestens jetzt weiß ich es!
Ich hoffe, die Geschichte von Alex macht euch ein wenig Mut, wenn ihr gerade feststeckt und merkt dass ihr nicht weiterkommt bzw. dass da schon längt ein ganz anderer Wunsch in euch wohnt. Lass uns mal an uns selber glauben!
Habt es schön!
Nadine
Fotos:
Portraits: Martina Herma
Mood Fotos: Unsplash
Falls ihr euch fragt, was es mit dieser Serie auf sich hat: hier könnt ihr nachlesen, um was es bei der #Jobliebelei geht.
Swetlana
Liebe Nadine,
herzlichen Dank für dieses bereichernde Interview. Ich lese diese Interview-Serie so gerne!
Alex, ich muss immer wieder schmunzeln, wie treffend du deine Überlegungen und Situationen beschreibst, hier und im Podcast.
Die Lust auf reichlich Nudeln mit Tomatensoße ist geweckt!
Herzliche Grüße zu Euch
Swetlana
Heike Tschänsch
Liebe Nadine,
dem Interview habe ich mich zweimal gewidmet.
Alex scheint eine wunderbare und sehr disziplinierte Frau zu sein.
Ich kenne all diese Unsicherheiten, welche Alex und vermutlich alle Selbstständigen begleiteten und freue mich für jede, die ihnen mit Mut entgegentritt.
Eine gewisse Disziplin ist dabei das A & O.
Ganz treffend erzählt sie das Beispiel aus der Bibliothek. Wie soll man etwas fertig bekommen, wenn man sich immer wieder ablenken lässt.
Ein paar Apps vom Handy zu verbannen ist eine gute Anregung, welche ich gerade in Erwägung ziehe.
Ich wünsche Alex alles Gute und dir, liebe Nadine, ein wunderschönes Wochenende.
Liebe Grüße von
Heike
Theresa
Liebe Nadine,
ich danke dir für dieses so schöne Interview! Deine #Jobliebelei-Reihe mag ich so unfassbar gerne und kann daraus immer sehr viel für mich und meinen Weg als Selbstständige mitnehmen! Auch heute finde ich mich in so vielem was Alex beschreibt wieder, bin jetzt ganz neugierig auf ihre Arbeit und ihren Podcast und freue mich auf weitere Inspiration und spannende Impulse!
Ganz liebe Grüße aus Berlin
Theresa